Pressekonferenz der Apothekerkammer Niedersachsen in der Landespressekonferenz Niedersachsen
Hannover, 5. Juli 2024
Gefährdung der Gesundheitsversorgung in Niedersachsen durch Apothekenreform
Niedersachsens Apothekerinnen und Apotheker lehnen den vom Bundesgesundheitsministerium (BMG) vorgelegten Referentenentwurf für ein Apotheken-Reformgesetz (ApoRG) ab. Die Apothekerkammer Niedersachsen warnt vor massiven Qualitätseinbußen in der Arzneimittelversorgung. „Die Reform zerstört die Versorgungsqualität der Patientinnen und Patienten in Niedersachsen unwiederbringlich, statt sie für die Zukunft zu stabilisieren“, erklärt Cathrin Burs, Präsidentin der Apothekerkammer Niedersachsen.
Ohne Apothekerinnen und Apotheker keine Apotheke
Die im Gesetzesentwurf enthaltene Änderung, auf Apothekerinnen und Apotheker in Apotheken zu verzichten sowie die Ausstattung und Öffnungszeiten von Apotheken einzuschränken, würde gerade in einem Flächenland wie Niedersachsen zu erheblichen Versorgungslücken führen.
Ohne dauerhafte Präsenz von Apothekerinnen oder Apothekern vor Ort sei eine Verschlechterung der bisher hochqualitativen Patientenversorgung und der Arzneimitteltherapiesicherheit zu befürchten, erklärt Burs. Pharmazeutisch-technische Assistentinnen und Assistenten (PTA) sind aufgrund ihrer Ausbildung fachlich nicht in der Lage, eine Apothekerin oder einen Apotheker adäquat zu ersetzen. Der Einwand, dass jederzeit eine Apothekerin oder ein Apotheker per Video zugeschaltet werden könne, setze voraus, dass die oder der PTA über ausreichende Kenntnisse und Sensibilität verfügte, wann die Qualifikation eines Apothekers oder Arztes erforderlich sei. In Apotheken ohne Apothekerin oder Apotheker entfiele ein Kernelement der derzeit hohen Versorgungsqualität.
Gesundheit ist ein hohes Gut und Arzneimittel sind eine besondere Ware, bei deren Abgabe Vorsicht, Empathie und fachliche Information erforderlich sind. Erst durch die pharmazeutische Beratung können sie ihr volles therapeutisches Potenzial entfalten und mögliche schädliche Wirkungen vermieden werden. Die Ausbildung und das Studium zur Apothekerin oder zum Apotheker sind äußerst komplex und anspruchsvoll. Apothekerinnen und Apotheker sind hochqualifizierte Naturwissenschaftler, die über ein tiefgehendes Wissen in verschiedenen Bereichen der Pharmazie verfügen. Ihr Studium umfasst die umfangreiche theoretische und praktische Ausbildung in Fächern wie Chemie, Biologie, Pharmakologie und Toxikologie. Diese breite Wissensbasis ermöglicht es ihnen, die Wirkungen und Wechselwirkungen von Medikamenten detailliert zu verstehen. Ihre hohe pharmazeutische Kompetenz ist entscheidend für die Sicherheit und Gesundheit der Patientinnen und Patienten.
Versorgungsleistungen wie beispielsweise die Abgabe von Betäubungsmitteln oder starken Schmerzmitteln dürften in einer Apotheke ohne staatlich approbierte Apothekerin oder staatlich approbierten Apotheker nicht mehr angeboten werden. Auch Substitutionstherapien für Drogenabhängige dürften in diesen reinen Arzneimittel-Abgabestellen nicht angeboten werden, genauso wenig wie individuell hergestellte Rezepturen, beispielsweise für Kinder-Fiebersäfte. „Der Weg zur nächsten Apotheke mit einer kompetenten Apothekerin oder einem kompetenten Apotheker könnte für Patientinnen und Patienten im Akutfall weiter sein. Insbesondere für ältere Menschen, chronisch Kranke sowie für Patientinnen und Patienten, die viele Medikamente einnehmen müssen, wird sich die Versorgungsqualität unter diesen Vorgaben verschlechtern. Das zeigt, dass letzten Endes das geplante Apotheken-Reformgesetz denjenigen nachhaltig schaden würde, denen es eigentlich helfen soll: den Patientinnen und Patienten“, so Burs.
Schon die Schließung einer Apotheke in strukturell schwachen Regionen könnte die pharmazeutische Betreuung von Patientinnen und Patienten, die nicht mobil sind, erheblich erschweren. In einem Radius von 25 Straßenkilometern gibt es beispielsweise in Hitzacker (Landkreis Lüchow-Dannenberg) nur neun Apotheken, in Butjadingen (Landkreis Wesermarsch) sind es vier Apotheken.
Demographischer Wandel braucht Apotheken vor Ort mehr denn je
Ein Blick auf den demographischen Wandel zeigt, dass die alternde Bevölkerung in den kommenden Jahren einen steigenden Bedarf an Gesundheitsdienstleistungen haben wird. Dafür brauchen die Menschen mehr denn je die Kompetenzen der Apothekerinnen und Apotheker. Studien zeigen zum Beispiel, dass die Einnahmetreue bei bis zu 50 Prozent aller Arzneimitteltherapien nicht gegeben ist. Die Folgen sind Medikationsfehler, Wechselwirkungen mit anderen Wirkstoffen, unerwartete Nebenwirkungen und somit Klinikeinweisungen. Das erzeugt Kosten in Milliardenhöhe.
Im Arzneimittelprojekt ARMIN hat die Apothekerschaft gemeinsam mit Ärztinnen und Ärzten bewiesen, dass eine frühzeitigte und dauerhafte Einbeziehung der pharmazeutischen Kompetenzen von Apothekerinnen und Apothekern in die Arzneimitteltherapien Leben rettet. Die Patientinnen und Patienten, die im Rahmen dieses Projektes versorgt wurden, hatten ein um 16 Prozent verringertes Sterberisiko.
Die Gesundheitsvorsorge für die Bevölkerung vor Ort wird eingeschränkt
Die Apotheken vor Ort erbringen derzeit zahlreiche für die Gesellschaft unverzichtbare Versorgungsaufgaben. Beispiele hierfür sind die dauerhafte Verfügbarkeit der Apothekerin oder des Apothekers als Arzneimittelexperten, Notdienste an Wochenenden und während der Nacht sowie Botendienste. Im Bereich der Selbstmedikation sind die Apothekenteams der einzige Berater für Patientinnen und Patienten. Durch die Pläne aus dem BMG wird der Zugang der Bevölkerung zu diesen Leistungen erschwert.
Seit mehr als zehn Jahren keine Honoraranpassung
Selbstständige Apothekerinnen und Apotheker erhalten keinen Lohn oder Gehalt. Sie gehören zu den freien Berufen, weil ihnen der Gesetzgeber eine besondere Stellung in unserer Gesellschaft zuweist. Sie haben den gesetzlichen Auftrag, die Bevölkerung ordnungsgemäß mit Arzneimitteln zu versorgen. Dieser Versorgungsauftrag besteht nicht aus der reinen Abgabe eines benötigten Arzneimittels, sondern auch aus der Beratung und der gesamten pharmazeutischen Betreuung der Patientin oder des Patienten. Als Vergütung erhalten die Apotheken für jede abgegebene Packung eines verschreibungspflichtigen Arzneimittels derzeit ein Fixhonorar in Höhe von 8,35 Euro. Hinzu kommt eine prozentuale Marge in Höhe von drei Prozent, die sich am Arzneimitteleinkaufspreis orientiert. Das Apothekenhonorar wurde zuletzt 2013 um drei Prozent von 8,10 Euro auf 8,35 Euro angepasst. Seitdem sind die Kosten in einer Apotheke um mehr als 60 Prozent durch Personal- und Energiekosten sowie die Inflation explodiert. Diese Entwicklung hat dazu geführt, dass immer mehr Apotheken schließen und Neugründungen finanziell wenig attraktiv sind.
Das BMG glaubt, die schwierige wirtschaftliche Situation vieler Apotheken sei lediglich auf ein Verteilungsproblem, insbesondere zwischen vermeintlich (großen) Stadt- und (kleinen) Landapotheken, zurückzuführen. Mit der geplanten Reform sollen die Apotheken in der Fläche gestärkt werden. Dazu ist diese Maßnahme jedoch nicht geeignet. Sie wird die Resilienz des Apothekennetzes nicht stärken, sondern eher schwächen. Denn klar ist: Alle Apotheken stehen unter einem massiven, wirtschaftlichen Druck.
Forderungen der Apothekerkammer Niedersachsen:
Das ApoRG ignoriert die Vor-Ort-Apotheken als unverzichtbare Säule des Gesundheitssystems und gefährdet die bewährte und hochqualitative Versorgung der Bevölkerung. Eine „Apotheke ohne Apotheker“ ist keine Lösung für die Sicherstellung der flächendeckenden Arzneimittelversorgung. Die Politik muss das bestehende System der Arzneimittelversorgung durch die Apothekerinnen und Apotheker in den Apotheken vor Ort stärken und erhalten. Die Apothekerkammer Niedersachsen fordert die Politik auf, keine Apotheken ohne approbierte Apothekerinnen und Apotheker zuzulassen, sondern deren besondere heilberufliche Kompetenz anzuerkennen und auszubauen.
Die Präsidentin der Apothekerkammer Niedersachsen fordert statt einer Eins-zu-eins-Umverteilung des Honorars eine nachhaltige, finanzielle Stabilisierung des gesamten Systems. Stadt- und Landapotheken dürften nicht gegeneinander ausgespielt werden.
Noch versorgen die rund 5.000 Apothekerinnen und Apotheker in den 1.687 inhabergeführten Apotheken rund 390.000 Patientinnen und Patienten pro Tag in Niedersachsen. Sie sichern die Arzneimittelversorgung und beraten patientennah. Dieses systemrelevante und wohnortnahe Netzwerk mit dem vorgelegten Reformentwurf unwiederbringlich zu zerschneiden, gefährde die Sicherheit der Arzneimittelversorgung und somit die Gesundheit der Patientinnen und Patienten, erklärt Cathrin Burs, Präsidentin der Apothekerkammer Niedersachsen.
Der Apothekerkammer Niedersachsen gehören über 8.200 Mitglieder an. Die Apothekerin und der Apotheker sind fachlich unabhängige Heilberufler:innen. Der Gesetzgeber hat den selbstständigen Apotheker:innen die sichere und flächendeckende Versorgung der Bevölkerung mit Arzneimitteln übertragen. Der Beruf erfordert ein vierjähriges Pharmaziestudium an einer Universität und ein praktisches Jahr. Dabei erwerben die Studierenden Kenntnisse in pharmazeutischer Chemie und Biologie, Technologie, Pharmakologie, Toxikologie und Klinische Pharmazie. Nach dem Staatsexamen erhalten die Apotheker:innen eine Approbation. Nur mit dieser staatlichen Zulassung können sie eine öffentliche Apotheke führen. Als Spezialist:innen für Gesundheit und Prävention beraten die Apotheker:innen die zur Ausübung der Heilkunde berechtigten Personen kompetent und unabhängig über Arzneimittel und apothekenpflichtige Medizinprodukte. Apotheker:innen begleiten Patient:innen fachlich, unterstützen menschlich und helfen so, die Therapie im Alltag umzusetzen.
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